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Prädikationen pros heauto im Parmenides als Aussagen über die Struktur von Ideen

Constance Meinwald hat mit ihrer Monographie „Plato’s Parmenides“ (1991) eine neuartige Interpretation des gesamten Dialogs vorlegt, die sich hauptsächlich auf dessen zweiten Teil bezieht. Sie vertritt darin die Auffassung, dass die Konklusionen aller acht Ableitungen im zweiten Dialogteil einander nicht widersprechen, sondern dass mit allen acht Konklusionen von ein und demselben Gegenstand, dem Einen (bzw. der Idee Einheit, to hen), Kompatibles ausgesagt wird. Ihre Argumentation beruht auf der Unterscheidung zwischen zwei Prädikationsarten, Prädikationen in Bezug auf anderes (pros ta alla) und Prädikationen in Bezug auf das Subjekt der Prädikation selbst (pros heauto). Die Unterscheidung sei dazu geeignet, aufzuzeigen, dass die Konklusionen aller acht Ableitungen im zweiten Teil wahre und konsistente Aussagen über denselben Gegenstand enthalten, und sie sollen eine Möglichkeit eröffnen, die Argumente des Dritten Menschen im ersten Teil des Parmenides zu parieren.

Der Vortrag geht von Meinwalds Unterscheidung zweier Prädikationsarten im Parmenides aus, wobei das Hauptinteresse den Prädikationen pros heauto gilt. Zunächst soll untersucht werden, ob und inwieweit sich im Parmenides diese Art von Prädikationen eindeutig identifizieren lässt. Im Zentrum steht die Frage, inwiefern sich Prädikationen pros heauto als Prädikationen über die Natur einer Sache bzw. einer Idee explizieren lassen. Ziel des Vortrags ist es aufzuzeigen, dass Prädikationen pros heauto innerhalb von Platons dihairetischem Definitionsmodell, wie es sich insbesondere im Sophistes und im Politikos findet, eine zentrale Bedeutung zukommt. Nebenbei soll diskutiert werden, ob und inwieweit die Unterscheidung zweier Prädikationsarten dazu geeignet ist, die Schwierigkeiten im ersten und zweiten Dialogteil aufzulösen.

 

(1) Meinwalds Interpretationsansatz: Der zweite Teil des Parmenides wird im Gespräch zwischen dem jungen Sokrates und Parmenides als eine Übung (gymnasia) angekündigt, die den Zweck hat, jemanden zu befähigen, besser mit den aufgeworfenen Schwierigkeiten umzugehen (Prm. 135d7). Die folgende Übung gliedert sich in acht Abschnitte, die sich jeweils als Ableitungen verstehen lassen. Den ersten vier Ableitungen liegt die Hypothese zugrunde, dass es das Eine gibt, den anderen vier Ableitungen liegt die Negation dieser Hypothese zugrunde. In den Ableitungen wird ausgehend von der jeweiligen Hypothese danach gefragt, zum einen was dem Einen in Beziehung auf es selbst zukommt und was ihm in Beziehung auf anderes zukommt und zum anderen was dem anderen in Beziehung auf das Eine zukommt und was dem anderen in Beziehung auf es selbst zukommt.

Meinwald richtet sich mit ihrem Interpretationsansatz einerseits gegen den „Rejektionismus“ (Ryle, Moravcsik, von Kutschera), nach dem die Konklusionen der acht Ableitungen widersprüchlich sind, und andererseits gegen den „Multisubjektivismus“ (neuplatonische Deutungen), nach dem die Ergebnisse der Ableitungen nur scheinbar widersprüchlich sind und der Anschein auf der irrtümlichen Annahme beruht, dass mit allen Konklusionen Aussagen über denselben Gegenstand gemacht werden, während sie tatsächlich von verschiedenen Gegenständen handeln. Meinwald geht dagegen davon aus, dass (i) alle Konklusionen korrekt gefolgert werden, diese sich (ii) nur scheinbar widersprechen und (iii) in allen Ableitungen über denselben Gegenstand gesprochen wird. Ihre Argumentation fußt auf der Annahme, dass Platon im ersten Dialogteil eine systematische Unterscheidung zwischen zwei Prädikationsarten entwickelt, die er im zweiten Teil zur Auflösung der scheinbaren Widersprüche anwendet.

(2) Unterscheidung zweier Prädikationsarten: Laut Meinwald ist ein Satz der Form „A ist F pros C“ mehrdeutig, weil aus dem Satzschema nicht eindeutig hervorgeht, in welchem Sinn die Präposition „pros“ in Verbindung mit dem für „C“ einzusetzenden Ideennamen verwendet wird. Die Präposition kann einerseits zur Bezeichnung der Teilhaberelation verwendet werden, so dass der Satz als gewöhnliche Prädikation zu verstehen ist. Mit dem Satz „Sokrates ist weise pros Weisheit“ wird demnach ausgesagt, dass Sokrates wegen seiner Teilhabebeziehung zur Idee Weisheit weise ist. Solche Prädikationen nennt Meinwald Prädikationen pros ta alla (PTA-Prädikation), weil hier über das Subjekt der Aussage in Beziehung auf etwas anderes etwas ausgesagt wird.

Andererseits könne die Präposition „pros“ auch für eine grundsätzlich andere Prädikationsart verwendet werden, die Meinwald Prädikation pros heauto (PH-Prädikation) nennt. Wird ein Satz der Form „A ist F pros C“ als PH-Prädikation verwendet, so wird damit etwas über die innere Struktur der Natur einer Idee und die internen Relationen der Ideen untereinander gesagt (Meinwald 1991, 71; Meinwald 1992, 379). Unter der Natur einer Idee F-heit sei das zu verstehen, was es heißt, F zu sein. Dass mit einem PH-Satz etwas über die innere Natur einer Idee ausgesagt wird, hieße also, dass damit erläutert wird, was es heißt, (ein) F zu sein, d.h. was zum Wesen eines F-Dinges gehört. Dabei sei die innere Natur einer Idee F-heit insofern strukturiert, als es zum (ein) F-Sein gehört, auch bestimmte andere Dinge zu sein. So ist beispielsweise die Idee Mensch strukturiert, weil es auch zum Mensch-Sein zählt, ein Lebewesen und vernunftbegabt zu sein.

Diese innere Strukturierung von Ideen lässt sich mit Baumdiagrammen veranschaulichen, die an Linnés Klassifikationssystem angelehnt sind. Ein Baumdiagramm bildet die Struktur einer Gattung und dieser entsprechend die Struktur der Natur einer Idee ab. So lassen sich von jeder Art (z.B. Mensch) die übergeordnete Gattung (Lebewesen), die Art selbst (Mensch) und die verschiedenen Spezifika (z.B. Vernunftbesitz), die diese Art von anderen Arten derselben Gattung unterscheiden, korrekt aussagen. Dabei wird mit solchen Aussagen eine Aussage über sämtliche Exemplare einer Art und es wird etwas über die Zusammenhänge der Ideen untereinander ausgedrückt, da die Teilhabeverhältnisse der Sinnendinge notwendigerweise auf jenen Zusammenhängen beruhen.

Eine alternative Erklärung des Aussagegehalts von PH-Sätzen besteht darin, zu sagen, dass eine wahre PH-Prädikation über eine Idee F-heit das enthält, was der F-heit gemäß der Definition zukommt (Peterson 1996; Frances 1996). Das heißt, dass sich alles, was im Definiens der F-heit enthalten ist, korrekt mit PH-Prädikationen von der F-heit aussagen lässt.

 

(3) PH-Prädikationen als Aussagen über die Struktur von Ideen: Der Vortrag argumentiert dafür, dass es sich bei der Struktur der Natur der Ideen und den internen Zusammenhängen der Ideen untereinander, die durch korrekte PH-Sätze abgebildet werden, um metaphysische Notwendigkeiten (im Sinne Kripkes) und nicht um erkenntnistheoretische handelt. Um dies zu sehen, ist eine Analyse selbstprädikativer PH-Sätze wie „Die Gerechtigkeit ist gerecht“ aufschlussreich. Meinwald deutet selbstprädikative PH-Sätze als Identitätsaussagen, in denen die Natur einer Idee mit ihr selbst identifiziert wird. Demzufolge wird mit selbstprädikativen PH-Prädikationen die erkenntnistheoretische Notwendigkeit ausgedrückt, dass die Idee F-heit mit sich selbst identisch ist.

Im Vortrag soll gezeigt werden, warum dies nicht zutrifft. Derartige Identitätsaussagen müssten durch PTA-Prädikationen ausgedrückt werden („Die Gerechtigkeit ist mit dem Gerechten identisch pros Idee Identität“): die Idee Gerechtigkeit ist mit sich selbst identisch, weil sie an der Idee Identität teilhat, d.h. sie ist mit sich selbst identisch in Beziehung auf (pros) die Idee Identität. Ich möchte einen alternativen Vorschlag formulieren, wie wahre selbstprädikative PH-Sätze zu verstehen sind, wenn damit eine Aussage über die internen Relationen der Ideen untereinander gemacht wird. Hierfür werde ich das Modell der dihairetischen Definitionen im Sophistes und Politikos zur Erklärung heranziehen.

Im Ergebnis möchte ich den Interpretationsansatz Meinwalds weiterentwickeln. Eine Modifikation ihrer Analyse ist erforderlich, um den Aussagehalt von PH-Prädikationen (insbesondere von selbstprädikativen PH-Sätzen) präziser zu erfassen und um mögliche Gegenbeispiele gegen ihren Lösungsversuch, die Argumente des Dritten Menschen zu parieren, abzuwehren (Durrant 1997; Frances 1996; Pelletier/Zalta 2000).

 

Predications pros heauto in the Parmenides as statements on the structure of Forms

In her monograph “Plato’s Parmenides” (1991), Constance Meinwald presents a new interpretation of the dialogue, which mainly refers to its second part. She argues that the conclusions of all eight hypotheses in the second part do not contradict each other but rather refer consistently to one and the same object, the One (to hen). Her argumentation is based on the distinction between two types of predication: predication in relation to others (pros ta alla) and predication in relation to the thing itself, i.e. to the subject of predication (pros heauto). In her eyes, the distinction is intended (i) to show that the conclusions of all hypotheses in the second part contain true and consistent statements on the same subject and (ii) to rebut the arguments of the Third Man in the first part.

The talk proceeds from Meinwald’s distinction between two types of predication in the Parmenides, focusing mainly on predications pros heauto. First, I will examine whether and to what extent this type of predication can be identified in the Parmenides. The main question is in what sense predications pros heauto can be explicated as predications about the nature of a thing, i.e. a Form. The aim of the talk is to show that predications pros heauto play a crucial role in Plato’s dihairetic model of definition, as found in the Sophist and the Statesman. In addition, I will discuss the extent to which the distinction between these types of predication can resolve the difficulties in the first and second parts of the dialogue.

(1) Meinwald’s approach: The second part of the Parmenides is introduced in the conversation between the young Socrates and Parmenides as an exercise (gymnasia) for the purposes of enabling someone to deal better with the difficulties raised (Prm. 135d7). The exercise is divided into eight sections, each of which can be understood as a deduction with a partial result. The first four deductions are based on the hypothesis that the One is; the other four deductions are based on the negation of this hypothesis. In every deduction, it is asked (i) what the One has in relation to itself and what it has in relation to the other and (ii) what the other has in relation to the One and what the other has in relation to itself.

Meinwald’s interpretation is directed on the one hand against a position called “rejectionism” (Ryle, Moravcsik, von Kutschera), according to which the conclusions of the eight deductions are contradictory; on the other hand, it is directed against a position called “multisubjectivism” (Neoplatonic interpretations), according to which the results of the deductions only appear contradictory, where the appearance arises from the misleading assumption that all conclusions make statements about the same object, although they actually deal with different objects. Meinwald, by contrast, assumes that all of the conclusions (i) result from deductions, (ii) only seem to contradict each other, and (iii) refer to the same subject. Her argumentation is based on the presumption that in the first part Plato develops a systematic distinction between two types of prediction, which he uses in the second part to resolve the apparent contradictions.

 

(2) Two types of predication: According to Meinwald, a sentence of the form “A is F pros C” is ambiguous because the sentence schema does not clearly indicate the sense in which the preposition “pros” is used in connection with “C” to designate a Form. On the one hand, the preposition can be used to denote the relation of participation, so that the sentence is to be understood as an ordinary predication. The sentence “Socrates is wise pros wisdom” thus states that Socrates is wise because of his participation in the Form Wisdom. Meinwald calls such statements predications pros ta alla (PTA-predication) because here something is said about the subject of the predication in relation to some other thing.

On the other hand, “pros” could also be used for a fundamentally different type of predication, which Meinwald calls predication pros heauto (PH-predication). If a sentence of the form “A is F pros C” is used as PH-predication, something is said about the internal structure of the nature of a Form and the internal relations between the Forms. “The nature of a Form F-ness” designates what it means to be (an) F. The fact that a PH-predication expresses something about the inner nature of a Form therefore means that it explains what it means to be (an) F, i.e. the essence of being (an) F. The inner nature of a Form is structured to the extent that being F includes being certain other things as well. For example, the Form Human is structured because being human also means being a living being and being rational.

This internal structure of Forms can be illustrated with tree diagrams inspired by Linné’s classification system. A tree diagram represents the structure of a genus and its species and, accordingly, the structure of the nature of a Form. Thus, one can correctly predicate of each species (e.g. human beings) the respective superior genus (living beings), the species itself (human beings), and the various specific features (e.g. rationality) which distinguish this species from other species of the same genus. Such statements both predicate something about all exemplars of a species and are statements about the internal relationships among the Forms, since the participation relations of sensible things are necessarily based on them.

An alternative explanation of the content of PH-predications is to say that a true PH-predication about a Form F-ness contains what is true of F-ness according to its definition (Peterson 1996, 171; Frances 1996, 50). In other words: everything contained in the definition of F-ness can be correctly stated in PH-predications about F-ness.

 

(3) PH-Predications as statements on the structure of Forms: The aim of my talk is to argue that the structure of the nature of Forms and the internal relations between Forms, which are expressed by correct PH-predications, are metaphysical necessities (in Kripke’s sense), not epistemological ones. To see this, an analysis of PH-self-predications such as “Justice is just” is revealing. Meinwald interprets PH-self-predications as identity statements in which the nature of a Form is identified with itself. This assumes that an epistemological necessity such as “The Form F-ness is identical to itself” is expressed by a PH-self-predication.

I will show, however, why this is not the case. Such identity statements would have to be expressed through PTA-predications (“Justice is identical with the Just pros the Form Identity”); the Form Justice is identical with itself because it participates in the Form Identity (is identical with itself in relation to (pros) the Form Identity). The talk ends with a suggestion as to how true PH-self-predications are to be understood when a statement is made about the internal relations between Forms by using the model of dihairetic definitions in the Sophist and the Statesman.

My aim is to further develop Meinwald’s approach. A modification of her analysis is necessary in order to grasp the meaning of PH-predications more precisely (in particular of PH-self-predications) and to resist possible counter-examples against her rebuttal of the arguments of the Third Man.

 

Selected bibliography:

Durrant, Michael (1997): Meinwald’s Pros Heauto Analysis of Plato’s Apparently Self-Predicational Sentences, in: Australasian Journal of Philosophy 75 (3), S. 383–395.

Frances, Bryan (1996): Plato’s Response to the Third Man Argument in the Paradoxical Exercise of the Parmenides, in: Ancient Philosophy 16, S. 47–64.

Meinwald, Constance (1991): Plato’s Parmenides, Oxford.

Meinwald, Constance (1992): Good-bye to the Third Man, in: Kraut, Richard (Hg.): The Cambridge Companion to Plato, Cambridge, S. 365–396.Pelletier, Francis Jeffry/ Zalta, Edward N. (2000): How to Say Goodbye to the Third Man, in: Nous 34/2, S. 165–202.

Moravcsik, Julius M.E. (1982): Forms and Dialectic in the Second Half of the Parmenides, in: Schofield, Malcolm/ Nussbaum, Martha (Hg.): Language and Logos. Studies in Ancient Greek Philosophy Presented to G. E. L. Owen, Cambridge, S. 135–153.

Pelletier, Francis Jeffry/ Zalta, Edward N. (2000): How to Say Goodbye to the Third Man, in: Nous 34/2, S. 165–202.

Peterson, Sandra: (1996): Plato’s Parmenides: A Principle of Interpretation and Seven Arguments, in: Journal of the History of Philosophy 34, S. 167–192.

Ryle, Gilbert (1939): Plato’s Parmenides, in: Mind 48, S. 129–151 [wiederabgedruckt in: Allen, Reginald E. (Hg.) (1965): Studies in Plato’s Metaphysics, London, S.97–147].

Von Kutschera, Franz (1995): Platons Parmenides, Berlin/New York.

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